Licht- und Schallwellen enthüllen negativen Druck
Ein tieferes Verständnis der thermodynamischen Abhängigkeiten dank neuer Messmethode
Negativer Druck ist ein seltenes und schwer nachzuweisendes Phänomen in der Physik. Mithilfe von flüssigkeitsgefüllten optischen Fasern und Schallwellen haben Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts (MPL) in Erlangen jetzt eine neue Methode entdeckt, um negativen Druck zu messen. In Zusammenarbeit mit dem Leibnitz-Institut für Photonische Technologien in Jena (IPHT) können die Wissenschaftler*innen der Forschungsgruppe Quantenoptoakustik unter Leitung von Birgit Stiller damit wichtige Erkenntnisse über thermodynamische Zustände gewinnen.
Das Forscherteam hat dafür in einer Studie, die in Nature Physics publiziert wurde, zwei einzigartige Techniken kombiniert, um verschiedene thermodynamische Zustände zu messen. Zunächst wurden winzige Mengen – Nanoliter – einer Flüssigkeit in einer vollständig geschlossenen optischen Faser eingekapselt, wodurch hohe positive und negative Drücke erreicht werden konnten. Daraufhin konnte durch die spezielle Wechselwirkung von optischen und akustischen Wellen in der Flüssigkeit der Einfluss von Druck und Temperatur in verschiedenen Zuständen der Flüssigkeit sehr empfindlich gemessen werden. Hier wirken Schallwellen als Sensor, um die negativen Druckwerte zu untersuchen und diesen besonderen Zustand der Materie mit hoher Präzision und detaillierter räumlicher Auflösung aufzudecken.
Die Messung dieses exotischen Zustands negativer Drücke erfordert in der Regel eine komplizierte Apparatur mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Aufgrund dieser Komplexität benötigen bisherige Messaufbauten für die Erzeugung und Bestimmung negativer Drücke erheblichen Platz im Labor und stellen selbst einen Störfaktor für das System im metastabilen Zustand dar. Mit der nun vorgestellten Methode haben die Forscher*innen stattdessen einen winzigen, einfachen Aufbau entwickelt, in dem sie mit Licht- und Schallwellen sehr genaue Messungen des Drucks vornehmen können. Die hierfür verwendete Faser ist nur so groß wie ein menschliches Haar.
“Einige Phänomene, die mit gewöhnlichen und erprobten Methoden nur schwer zu erforschen sind, können auf unerwartete Weise zugänglich sein, wenn neue Messmethoden mit neuartigen Plattformen kombiniert werden. Das finde ich spannend”, sagt Dr. Birgit Stiller, Leiterin der Forschungsgruppe Quantenoptoakustik am MPL. Die Schallwellen, die die Gruppe verwendet, können sehr empfindlich Temperatur-, Druck-und Dehnungsänderungen an einer optischen Faser erkennen. Darüber hinaus ist eine ortsaufgelöste Messung möglich, was bedeutet, dass die Schallwellen ein Bild der Situation im Inneren der optischen Faser mit Zentimeter-Auflösung entlang der Länge der optischen Faser liefern können.
“Unsere Methode ermöglicht uns ein tieferes Verständnis der thermodynamischen Abhängigkeiten in diesem einzigartigen faserbasierten System”, sagt Alexandra Popp, eine der beiden Hauptautor*innen des Artikels. Der andere Hauptautor Andreas Geilen fügt hinzu: “Die Messungen brachten einige überraschende Effekte zutage. Die Beobachtung des negativen Druckregimes wird eindrucksvoll deutlich, wenn man sich die Frequenz der Schallwellen ansieht.”
Die Kombination von optoakustischen Messungen mit den dicht verschlossenen Kapillarfasern ermöglicht neuen Entdeckungen in Bezug auf die Überwachung chemischer Reaktionen toxischer Flüssigkeiten in ansonsten schwer zu untersuchenden Materialien und Mikroreaktoren. Es kann in neue, schwer zugängliche Bereiche der Thermodynamik vorgedrungen werden. Diese Phänomene können bisher unerforschte und potenziell neue Eigenschaften im einzigartigen thermodynamischen Zustand der Materialien erschließen. Birgit Stiller sagt abschließend: “Die Zusammenarbeit zwischen unseren Forschungsgruppen in Erlangen und Jena mit der entsprechenden Expertise ist einzigartig, um neue Erkenntnisse über thermodynamische Prozesse und Regime in einer winzigen und einfach zu handhabenden optischen Plattform zu gewinnen.”
Ursprüngliche Publikation in Nature Physics: Geilen, A., Popp, A., Das, D. et al. “Extreme thermodynamics in nanolitre volumes through stimulated Brillouin–Mandelstam scattering”
DOI: 10.1038/s41567-023-02205-1
Weitere Informationen
Dr. Birgit Stiller
Leiterin der Forschungsgruppe ›Quanten-Optoakkustik‹ am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts.
www.mpl.mpg.de / birgit.stiller@mpl.mpg.de
Dr. Stiller ist Nachwuchsforscherin an der FAU