Zwei ERC Starting Grants für Prof. Dr. Anna Nelles und Dr. Flore Kunst

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.

Neutrino-Forschung und Nicht-Hermitesche Topologische Phänomene

Förderungen des European Research Council (ERC; Europäischer Forschungsrat) sind hart umkämpft. Sie zu erhalten, gibt der Forschung der ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die hohen Fördersummen von bis zu 1,5 Millionen Euro über 5 Jahre nicht nur neuen Schwung – sie zeichnet die Geförderten ebenso also Spitzenforschende auf ihren Gebieten aus. Zu den fünf Preisträgerinnen und Preisträger der FAU zählt auch  Prof. Dr. Anna Nelles, Professorin für Experimentelle Astroteilchenphysik und Dr. Flore Kunst vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts.

Auf der Suche nach kosmischen Neutrinos

Prof. Dr. Anna Nelles, Professur für Experimentelle Astroteilchenphysik an der FAU. (Bild: FAU/Georg Pöhlein)
Prof. Dr. Anna Nelles, Professur für Experimentelle Astroteilchenphysik an der FAU. (Bild: FAU/Georg Pöhlein)

Prof. Dr. Anna Nelles, die an der FAU als Professorin für Experimentelle Astroteilchenphysik forscht und gleichzeitig als Wissenschaftlerin am Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen (Host Institution für den ERC Grant) tätig ist, baut auf Grönland ein Netzwerk von Radioantennen auf, um damit extrem energiereiche Neutrinos aus dem Weltall zu belauschen. Neutrinos sind flüchtige Elementarteilchen, die sich von nahezu nichts aufhalten lassen. Sie durchqueren ungehindert Wände, Planeten und ganze Galaxien und erreichen uns daher aus den fernsten Winkeln des Kosmos und aus dem Zentrum extremer Prozesse wie etwa Supernova-Explosionen von Sternen oder aus den Staubscheiben um Schwarze Löcher. Manche dieser Teilchen haben so viel Energie wie ein scharf geschmetterter Tischtennisball. Versuche haben gezeigt, dass die schnellen Neutrinos auf ihrem Weg durch die Atmosphäre sowie den grönländischen Eisschild Radiowellen hinterlassen, die sich mit Spezialantennen auffangen lassen.

„Die Entdeckung von Neutrinos mit extremen Energien verspricht neue Erkenntnisse sowohl in der Astrophysik als auch in der Teilchenphysik bei Energien weit jenseits solcher, die sich mit irdischen Teilchenbeschleunigern erreichen lassen“, erläutert Nelles. „Wir hoffen, mit solchen Beobachtungen neue Quellen extrem energiereicher kosmischer Strahlung zu enthüllen und die Ausbreitung dieser Teilchen im All besser zu verstehen.“ Das „Radio Neutrino Observatory – Greenland“ RNO-G wird die erste große Anlage ihrer Art und soll bis 2026 auf 35 Stationen ausgebaut werden. Aufbau und Betrieb werden von Nelles und Kollegen aus den USA und Belgien geleitet.

Dr. Anna Nelles ist seit 2019 Professorin für Experimentelle Astroteilchenphysik, insbesondere Radionachweis von Neutrinos, an der FAU; gleichzeitig arbeitet sie als Wissenschaftlerin am DESY in Zeuthen. Nelles hat an der RWTH Aachen Physik sowie Wirtschaftswissenschaften (MBA) studiert , bevor sie an der Universität Nimwegen, Niederlande, in Physik promoviert hat. Anschließend ging sie 2015 als Postdoc an die University of California. Ihre letzte Station vor der FAU war die einer Emmy-Noether-Gruppenleiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dass ein Donut auch eine Tasse ist, Flore Kunst kann es beweisen

Dr. Flore Kunst wird ebenfalls mit einem Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) ausgezeichnet. Zusätzlich erhält sie, neben zwei weiteren Kandidatinnen, einen der begehrten Plätze beim Lise-Meitner-Exzellenzprogramm 2.0 der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und baut ihre eigene unabhängige Nachwuchsgruppe auf. Damit wirbt die Physikerin und Nachwuchswissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in kurzer Zeit Forschungsgelder in Höhe von insgesamt 4,5 Millionen Euro ein.

Ihr Forschungsbereich „Nicht-Hermitesche Topologische Phänomene“ ist ein junges Forschungsfeld, dass sich dynamisch entwickelt und stetig an Bedeutung gewinnt. Als grundlegende Disziplin der Mathematik befasst sich die Topologie mit den Eigenschaften geometrischer Objekte, die bei einer Verformung erhalten bleiben. So lässt sich die Form eines Donuts unter mathematischen Gesichtspunkten mühelos in eine Tasse umformen: Beide Objekte besitzen genau ein Loch, haben also dieselbe Topologie. Nun betrachtet Flore Kunst jedoch die Topologie von Systemen, die nicht abgeschlossen –nicht-hermitesch – sind und mit ihrer Umwelt interagieren. In realen Systemen erfolgt das beispielsweise durch den Austausch von Teilchen oder Energie. Konkret möchte die Forscherin mit ihrer Arbeit über abgeschlossene, verlustfreie Systeme hinausgehen, sowohl im Einteilchen- als auch im Vielteilchenbild. Die mathematische Beschreibung dieser offenen Systeme ist äußerst komplex. In der Quantenoptik oder auch bei der Beschreibung offener Quantensysteme ist der Einsatz nicht-hermitescher Modelle unverzichtbar. Mit ihnen lässt sich die Komplexität wechselwirkender Systeme sehr viel einfacher beschreiben.

Flore Kunst wuchs in den Niederlanden auf und studierte an der Universität Utrecht. Danach promovierte sie zunächst an der Freien Universität Berlin und später an der Universität Stockholm unter der Leitung von Professor Bergholtz. Seit Oktober 2019 setzt sie ihre Forschung am Max-Planck-Institut für Quantenoptik fort. Ende 2021 startete die Physikerin am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts ihren neuen Forschungsbereich „Nicht-Hermitesche Topologische Phänomene“.