Schwarzes Loch in der Milchstraße massiver als angenommen
Ein internationales Team renommierter Astrophysikerinnen und -physiker unter Beteiligung der FAU hat neue Erkenntnisse über Cygnus X-1 gewonnen. Das Schwarze Loch und sein Begleitstern in der Milchstraße sind weiter von der Erde entfernt und wesentlich massereicher als bisher angenommen. Das Projekt liefert zugleich neue Antworten auf die Frage, wie Schwarzer Löcher überhaupt entstehen. Die Ergebnisse sind im führenden Wissenschaftsjournal „Science“ veröffentlicht worden.
Den ersten Hinweis gab es bereits 1964: Zwei Geigerzähler an Bord einer suborbitalen Rakete, die von New Mexico aus abgefeuert wurde, registrierten eine starke Röntgenquelle in unserer Milchstraße. Acht Jahre später entdeckte der US-amerikanische Astronom Tom Bolton, dass diese Röntgenquelle um den Stern HDE 226868, einen sogenannten Blauen Riesen, kreist. Bolton schloss daraus, dass es sich bei Cygnus X-1 – so der Name der unsichtbaren Quelle – um ein schwarzes Loch handeln müsse. Diese Annahme wurde durch spätere Beobachtungen bestätigt. „Cygnus X-1 ist das erste Schwarze Loch, das in unserer Milchstraße entdeckt wurde“, erklärt Prof. Dr. Jörn Wilms, Astrophysiker der Universitätssternwarte der FAU.
Die tatsächliche Entfernung des Systems von der Erde konnte bislang nur grob geschätzt werden, ebenso wie die Massen des Schwarzen Lochs und seines Begleitsterns. Wilms hat deshalb ein ambitioniertes Projekt initiiert, zu dem sich ein internationales Team renommierter Astronominnen und Astronomen zusammengeschlossen hat. Die Forschenden nutzten das Very Long Baseline Array, ein Cluster aus zehn in den USA verteilten Radioteleskopen, um eine präzise Paralaxenmessung vorzunehmen. „Die Messung basiert auf dem Prinzip, dass man die Entfernung eines Objektes bestimmen kann, indem man es von zwei verschiedenen Orten aus betrachtet“, sagt Jörn Wilms. „Die unterschiedlichen Beobachtungspositionen ergeben sich unserem Fall durch die Bewegung der Erde um die Sonne.“
Materieverlust heller Sterne geringer als vermutet
Über einen Zeitraum von sechs Tagen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Projektleiter James Miller-Jones vom International Centre for Radio Astronomy Research (ICRAR) das Cygnus-System beobachtet und dabei über 2000 Messwerte aufgezeichnet. Das Ergebnis: Cygnus X-1 ist deutlich weiter von der Erde entfernt als bislang angenommen – etwa 7200 anstatt der zuvor geschätzten 6100 Lichtjahre. „Aus dieser Kalibrierung ergibt sich auch, dass Cygnus deutlich größer sein muss“, erklärt Jörn Wilms. „Wir haben errechnet, dass das Schwarze Loch mehr als 20-mal so massereich wie die Sonne ist“, sagt Jörn Wilms. „Das ist übertrifft frühere Schätzungen um 50 Prozent.“
Diese Erkenntnis wirft zugleich ein neues Licht auf die Entstehung Schwarzer Löcher überhaupt: Bislang ging die Forschung davon aus, dass helle Sterne bis zur Supernova-Explosion sehr viel Masse an ihre Umgebung verlieren. Wilms: „Durch Sternwinde wird Materie von der Oberfläche quasi weggeblasen. Damit ein Schwarzes Loch jedoch so massiv werden kann wie Cygnus X-1, muss dieser Masseverlust deutlich geringer sein als wir dachten.“
Anhand der aktuellen Messdaten gehen die Forschenden davon aus, dass das Schwarze Loch im Cygnus X-1-System sein Leben als Stern begann, der ungefähr 60-mal so groß wie die Sonne war und vor Zehntausenden von Jahren kollabiert ist. Trotz seiner gigantischen Größe umkreist es in nur fünfeinhalb Tagen seinen Begleitstern HDE 226868, wobei die Umlaufbahn nur ein Fünftel der Entfernung zwischen Erde und Sonne beträgt. Dabei dreht sich Cygnus X-1 unglaublich schnell – sehr nahe an der Lichtgeschwindigkeit und damit schneller als jedes andere bisher gefundene Schwarze Loch. Die extrem starke Röntgenstrahlung entsteht dadurch, dass der Begleitstern einen Teil seiner Masse an das Schwarze Loch verliert und dabei eine Scheibe aus Gas bildet, die sich durch Reibung auf mehrere Millionen Grad erhitzt.
Neues Radioteleskop soll weitere Geheimnisse lüften
„Schwarze Löcher zählen nach wie vor zu den bestgehüteten Geheimnissen des Universums“, sagt Jörn Wilms. „Mit unserem Projekt haben wir einen weiteren Teil dieses Geheimnisses lüften können.“ Im kommenden Jahr soll der Bau des Square Kilometer Array (SKA) in Australien und Südafrika beginnen, das die Empfindlichkeit des aktuell größten Radioteleskops der Welt nochmals übertrifft und das Universum noch detaillierter abbilden kann. Die Astroforschung verspricht sich davon neue Impulse für das Verständnis exotischer und extremer kosmischer Objekte, die uns bislang verborgen bleiben.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Jörn Wilms
Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg – Astronomisches Institut der FAU
Tel.: 0951/95222-13
joern.wilms@sternwarte.uni-erlangen.de
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